Tagung im Hightech Zentrum Aargau

    «Energiezukunft zwischen Mythos und Realität»

    Im Hightech Zentrum Aargau in Brugg diskutierten Experten aus Politik, Wirtschaft und Forschung über die Energiezukunft. Ist die Energiestrategie 2050 eine realistische energiepolitische Vision oder nur eine teure Utopie?

    (Bilder: ub) Prof. Dr. Rolf Wüstenhagen zeigte bei seinem Referat im Hightech Zentrum Aargau auf, das Klimafreundlichkeit auch finanziell lohnenswert wird

    Verschiedene Fachspezialisten und Forscher aus der Energie- und Hochschulbranche referierten im Hightech Zentrum Aargau zum Tagungsmotto «Energiezukunft zwischen Mythos und Realität». Im Mittelpunkt standen erneuerbare Energien im Hinblick auf die Energiestrategie 2050, die eine 2000-Watt-Gesellschaft und einen Ausstieg aus der Atomenergie vorsieht. Die nationalen Effizienzvorgaben liegen ganz auf der Linie der internationalen Klimaschutzvereinbarung von Paris 2015, die eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter 2°C fordert. 195 Länder haben sie unterschrieben und damit ein klares Zeichen gesetzt. Allerdings kann dieses Ziel nur erreicht werden, wenn die Treibhausgasemissionen zwischen 2045 und 2060 weltweit auf null zurückgefahren werden. Regierungsrat Stephan Attiger sah in der Photovoltaik das grösste Potenzial, welches in Kombination mit Wind, Geothermie und Wasserkraft ermöglicht, die Klimaziele im Kanton Aargau umzusetzen. Um diese Energieproduktion zu erhöhen, fehle es jedoch an ökonomischen Anreizen, in erneuerbare Energien zu investieren, meinte der Politiker. «Deshalb hinkt die Schweiz hinterher.» Dass sich Investitionen in eine vernünftige Stromproduktion nicht auszahlen, bereite ihm Kopfzerbrechen. Es bestehe dringend politischer Handlungsbedarf.

    Dr. Peter Morf, Programmleiter Energietechnologien und Ressourceneffizienz ist Technologie- und Innovationsexperte und macht am Schluss des Tages das Resumé aller Referate

    Alle produzieren Atommüll – niemand will ihn
    Grosse Hürden gibt es auch beim von der Schweiz beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie zu überwinden. «Es braucht in Zukunft weiterhin ausgebildete Leute, die wissen, wie man die bestehenden Atomkraftwerke betreibt und deren Rückbau und Entsorgung durchführt», meinte Andreas Pautz, der Head of Nuclear Energy and Safety Division am Paul Scherrer Institut PSI. Er verurteilte die Stimmungsmache gegen die Atomenergie im Hinblick auf den Rückbau: Ihm sei bewusst, dass es eine unbeliebte Aufgabe sei, den nuklearen Müll zu beseitigen, den bisherige Generationen produziert hätten. «Man muss den Leuten klarmachen, dass das jetzt gemacht werden muss, ohne Diskussion», meinte Pautz pragmatisch.

    Diese Ereignisse sind ein Weckruf
    Scheitert die Energiewende an den Finanzen? Nicht für Referent Prof. Dr. Rolf Wüstenhagen, Direktor Institut für Wirtschaft und Ökologie an der Universität St. Gallen. Als Vordenker rund um das Thema Energiezukunft erachtet er die finanziellen Risiken aus den Schäden, die durch eine Fortsetzung des Status Quo verursacht werden, langfristig als weitaus höher als jene der Umsetzung der Energiestrategie 2050. «Die japanische Regierung beziffert die Folgekosten der Nuklearkatastrophe in Fukushima auf rund 190 Milliarden Franken, während der ehemalige Chefökonom der Weltbank, Sir Nicholas Stern, vor Klimaschäden in der Grössenordnung von 5 bis 20 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts warnt», berichtete er und fügte hinzu, «auch wenn die genauen Zahlen mit Unsicherheiten behaftet sind: Wenn wir weitermachen wie bisher, gibt es eine ganze Reihe von Risiken, die zu Buche schlagen können.» Wüstenhagen zeigt Bilder von ausgetrockneten Feldern im Sommer 2018. Völlig überschwemmte Landstriche in Mallorca. Und abbrechende Gletscher in der Antarktis. «Diese Ereignisse sind ein Weckruf», betonte er.

    (Bild: Benedikt Nabben) Windenergieanlage Calandawind im Schweizerischen Haldenstein

    Nichtstun wird teuer
    Nicht jedem ist bewusst, wie sehr Klimarisiken auch die Finanzmärkte beeinflussen könnten. Wüstenhagen sprach u.a. die Kohlenstoffblase an, sprich eine Überbewertung von Unternehmen im Bereich fossiler Brennstoffe. Um eine Erwärmung um mehr als 2°C zu verhindern, müssten nämlich weite Teile der momentan bekannten Reserven fossiler Energieträger ungenutzt bleiben. Das würde eine deutliche Wertminderung für zahlreiche Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft bedeuten, die die Förderrechte an einem Grossteil dieser Reserven erworben und in ihren Bilanzen als Vermögenswert eingestellt haben. Marc Carney, Gouverneur der Bank of England warnte vor drei Jahren vor riesigen Verlusten, wenn man in Öl-, Kohle- oder Gasvorräte investiere. Dafür wurde er stark kritisiert. Obwohl seine Aussage zunehmend der Realität entspreche, so Wüstenhagen: «Peabody Energy, das grösste private Kohlebergbauunternehmen der Welt, meldete 2016 Konkurs an. Und grosse Investoren wie der norwegische Staatsfonds ziehen sich aus Kohle-Investitionen zurück.» Fazit des Referenten: «Wenn wir nichts tun, wird uns das teuer zu stehen kommen.»

    Klimafreundlichkeit wird auch finanziell interessant
    Die gute Nachricht ist, so Wüstenhagen, dass klimafreundliche Lösungen immer günstiger werden. Eine Studie der US-amerikanische Investmentbank Lazard zeigt die Kostenentwicklung von erneuerbaren und nicht-erneuerbaren Energien in den USA von 2009 bis 2017. Strom aus neuen Gaskraftwerken ist heute etwa 20 Prozent teurer als Sonnen- und Windenergie, die seit zwei Jahren die günstigste Form der Stromerzeugung ausmachen. Grossinvestor Warren Buffett investiert in riesige Solarparks in der Wüste. Weltweit sind die globalen Investitionen in erneuerbare Energien stark gestiegen. Am meisten in China.

    (Bild: Rolf Wuestenhagen) Windpark Verenafohren im Landkreis Konstanz

    Wüstenhagen hofft, dass der globale Trend zu neuen Energien nicht an der Schweiz vorbeigeht. Eine ausgeklügelte technologische Diversifikation – zum Beispiel ein ausgewogener Mix aus Solar- und Windenergie – könnte im Zusammenspiel mit der Schweizer Wasserkraft dafür sorgen, dass man das ganze Jahr mit genug Strom versorgt ist. Der Referent ist überzeugt, dass der nächste grosse Umbruch in der Automobilbranche stattfindet. «Die Schweiz plant, dass bis 2022 15 Prozent aller Neufahrzeuge, die auf die Strasse kommen, Elektroautos sein sollen. In Norwegen sind es heute schon 47 Prozent.»

    Die Energiewende lohnt sich laut neuer Studien auch finanziell. Klimafreundlichkeit und Wirtschaftlichkeit schliessen sich nicht mehr aus. Dass dies nicht nur die «sonnige Beobachtung» eines Befürworters der neuen Klimapolitik ist, zeigte Wüstenhagen anhand von konkreten Zahlen im Wirtschaftsbereich. 154 Grossunternehmen weltweit haben sich verpflichtet, bis 2020 100 Prozent des Stroms, den sie brauchen, aus erneuerbaren Energien zu beziehen. Die ehemalige Oil und National Gas Company in Dänemark (heute Ørsted) hat beschlossen, komplett aus der fossilen Energie auszusteigen und setzt vollumfänglich auf Ökostrom. Ende 2017 war das Unternehmen Weltmarktführer im Bereich Offshore Wind, mit 8.9 Gigawatt installierter Leistung. Die Deutsche Post hat ihre Lieferwagen durch Elektrofahrzeuge ersetzt, die sie auch selbst herstellt. Der Wechsel rentiert. «Investitionschancen gibt es von XL bis S», erläuterte Wüstenhagen zum Schluss, «von Grossprojekten wie Windparks bis zu kleinen Solaranlagen auf dem Dach eines Privathauses.» Für ihn gibt es nur Eines: «Wir dürfen getrost mit Kopf, Herz und Hand in unsere neue Energiezukunft gehen.»

    Ursula Burgherr


    Hightech Zentrum Aargau AG
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